C O R R Y V R E C K A N
















































































































































































































































































































































































































Jeder Segler bleibt in Larssons "Der Keltische Ring" unweigerlich und ungläubig an folgender Stelle hängen:
Irgend jemand hat einmal behauptet, man könne bei gegenläufiger Strömung durch Corryvreckan segeln, indem man der Uferlinie »im Abstand eines Bootshakens« folgte. Wir liefen dagegen Gefahr, auf eine Gegenströmung zu stoßen, wenn wir allzu dicht unter Land blieben und so den Wind gegen den Strom bekamen. Eine wirkliche Alternative gab es also nicht. Wenn wir die Bucht erreichen wollten, mußten wir uns in den »Great Race« begeben, wie die Seekarte es nannte, mit einer Bemerkung in Klammern: Dangerous tidal streams.
Als ich den Kurs festgelegt hatte, zog ich meinen Neoprenanzug an, der noch aus meiner Sporttaucherzeit stammte und den ich bei extremen Verhältnissen trage. So bleibt mir eine unförmige Schwimmweste erspart, denn der Naßanzug besitzt selbst Auftrieb und schützt außerdem vor Wärmeverlust, wenn man stark durchnäßt ist, während Ölzeug das Umgekehrte unternimmt: den Segler warm zu halten, indem es ihn trocken hält. Alle Segler wissen, daß das bei schwerem Wetter unmöglich ist.
Dann holte ich die Sturmluken, einen halben Zentimeter dicke Platten aus rostfreiem Stahl, und brachte sie über den Bullaugen und dem Niedergang an. Ich schloß die Ventilatoren an Deck vollständig und legte dann ein Sicherheitsgeschirr an. Nun war ich etwas ruhiger. Wenn die Rustica nicht von den Wogen zerschlagen oder auf die Klippen geworfen wurde, waren wir fast jeder Lage gewachsen.



Torben sah allerdings besorgt aus, das fiel mir trotz meiner Müdigkeit auf, die mir immer eine gewisse Gelassenheit schenkte. Während er mit dem Ruder kämpfte, verfolgte er meine Vorbereitungen.
»Wird's noch schlimmer?« fragte er.
Ich nickte. Um uns zu verständigen, mußten wir einander in die Ohren schreien, und nicht einmal bei Rückenwind trug der Schall weiter als einen Meter. Der Sturm riß ihn praktisch fort. Ich setzte mich zu Torben ins Cockpit auf die Leeseite und beugte mich vor, damit er auch wirklich mitbekam, was ich sagte.
»Ja, es wird wahrscheinlich verdammt hart. Aber nur kurze Zeit, höchstens eine halbe Stunde. Dann sind wir in ruhigem Wasser. Geh runter und leg dich jetzt hin, aber wenn ich rufe, mußt du bereit sein. Entweder kommst du an einer Sicherheitsleine an Deck oder du schließt dich in der Kabine ein und hältst dich fest.«
»Ich komm rauf.«

Rasch näherten wir uns den Klippen von Jura, sie waren schaumbedeckt, tauchten nur hin und wieder hinter meterhohen weißen Wellenkaskaden auf. Die Rustica jagte voran. Nach einer Wende in Richtung Land machten wir bei raumem Wind acht Knoten. Einige Male kamen wir ins Gleiten und das Log schlug bis zum Rand aus, so wie damals, als wir uns Fraserburgh näherten. Und so wie damals hätten wir die Segelfläche verkleinern müssen, um die Fahrt zu verringern, denn es gibt immer das Risiko, daß man schneller als die Welle wird und mit dem Bug in die voranlaufende See gerät und gebremst wird, wobei sich der Druck aufs Rigg so stark vergrößern kann, daß das Schiff seine Stabilität verliert. Es kann dann querschlagen oder sogar kentern und unter dem sich heranwälzenden nächsten Wellenberg begraben werden. Man muß versuchen, die Wellen schräg abzulaufen.
Aber ich konnte nicht mehr auf Deck herumturnen, um zu reffen. Bereits zweimal waren so schwere Seen übergekommen, daß sich das Cockpit mit Wasser füllte. Was zu einem ebenso komischen wie gefährlichen Phänomen führte! Durch den Auftrieb meines Neoprenanzugs schwamm ich im Cockpit auf, bis das Wasser abgelaufen war. Was für ein Wahnsinn! Aber da betrug die Entfernung von Jura schon nicht mehr als eine Seemeile, also höchstens noch zehn Minuten, und dann würde ich alle Fahrt brauchen, um durch den »Great Race« zu kommen. Der »Great Race« war ein langer hochschießender wildbewegter Wellenkamm an Backbord. Ich hatte alle Hände voll zu tun, die Rustica auf Kurs zu halten und sie heil über die steilen Seen zu bringen, und ich konnte nur ab und zu aus den Augenwinkeln nach links gucken. Dort sah ich die riesige Wellenformation, die trotz ständig brechender Kämme stillzustehen schien wie eine Wand. Die Beschreibung im Lotsenhandbuch, die von einer langgezogenen, brechenden, vertikalen Wasserwand sprach, war keine Übertreibung.



Der Bug der Rustica wies jetzt auf die kleine Insel Eilean Mor, unmittelbar westlich der Einfahrt nach Bagh Gleann nam Muc. Einen Augenblick erwog ich, zwischen Eilean Mor und Jura durchzulaufen, bis mir einfiel, daß die Seekarte auch für diese Passage ein »Race«-Symbol und ein verdecktes Felsenriff verzeichnete, auf einem Fahrwasser von höchstens dreihundert Meter Breite. Ich blieb bei meinem ursprünglichen Plan, durch die Wasserwand des »Great Race« hindurchzustoßen.
Einige Kabellängen westlich von Eilean Mor fierte ich auf und rief Torben nach oben. Er kam und hakte seine Sicherheitsleine ein. Dann richtete er sich auf und sah nach vorn. Als er sich wieder zu mir wandte, war sein Blick völlig leer. Ich bin mir sicher, daß er in diesem Augenblick überzeugt war, wir würden nicht lebend davonkommen. Und im selben Moment begriff ich, daß meine Entscheidung, hierherzukommen, um MacDuff und Mary zu warnen und zwei Leben zu retten, zwei andere Leben kosten konnte - unsere.

Ich luvte an und schoß mit der Rustica auf den donnernden »Great Race« zu. Sie brach mit dem Bug in den schäumenden Strudel und erbebte unter den auseinanderstrebenden wilden Kräften, die sie auseinanderzureißen suchten. Wirbel warfen uns mit erschütternden Schlägen herum, so daß ich das Ruder nur unter Aufbietung aller Kräfte halten konnte. Mit beiden Händen hielt ich es gepackt und versuchte zugleich, eine ungefähre Deckpeilung zu nehmen, bevor die Sicht ganz in schäumendem Wasser verschwand. Wir durften nicht zu weit nach Norden gedrückt werden. Der Strom versetzte uns ohnehin nach Nordosten, und auf der Seite der Insel Scarba lagen Untiefen, die einen starken Wirbel erzeugten. Einmal davon erfaßt, wären wir nicht in der Lage gewesen, uns da wieder herauszuziehen. Wir würden jede Fahrt verlieren und von den Brechern in Stücke geschlagen werden. Die Gischt erfüllte die Luft wie Rauch, und meine Augen brannten vom Salz. Das Getöse war ohrenbetäubend.
Es war ein Kampf ums Überleben. Wir trieben unser Schiff direkt durch eine wildbewegte Wand aus Wasser. Ich bekam einen harten Schlag auf die Brust und landete auf dem kleinen Achterdeck hinter dem Ruder. Nur meine Sicherheitsleine hielt mich an Bord. Einige Sekunden lang war die Rustica völlig unter Wasser. Und bevor die Furcht kam, trat ein Moment des Friedens ein, weil unter der Oberfläche das Tosen schwächer war. Aber dann kam die Atemnot. Im nächsten Moment schnappte ich keuchend nach Luft, und da war plötzlich wieder Luft, und ich konnte mich ins Cockpit zurückziehen und bekam das Ruder wieder in die Hand. Ich riß es herum und versuchte, die Rustica wieder auf Kurs zu bringen, nur nach dem Gefühl. Langsam richtete sie sich auf und schien das Wasser abzuschütteln. Torben war noch im Cockpit, hinter der Kabine zusammengekauert. Keuchend und spuckend versuchte er, Luft in die Lunge zu bekommen, aber er lebte. Wasser aus dem Hauptsegel stürzte auf uns herunter, was bedeutete, daß wir mindestens fünf Fuß Wasser über unseren Köpfen gehabt haben mußten.



Dann war es ebenso plötzlich vorüber. Wir waren zwischen Eilean Mor und Eilean Beag, die an der Mündung der Bucht lag, durch die Wasserwand hindurchgestoßen. Eilean Beag war jetzt etwa eine Kabellänge voraus. Ich legte das Ruder hart Steuerbord, holte die Großschot dicht und ließ die Rustica in die Bucht hineinschießen.
Torben brach in ein wildes Gelächter aus, als er sah, daß wir es geschafft hatten. Auch ich grinste, obwohl ich noch nicht den Überlebenstaumel empfand, der ihn anscheinend erfaßt hatte. Ich wußte zu genau, wie nahe wir dem Tod gewesen waren. Aber wir hatten ruhiges Wasser vor uns, und das allein zählte in diesem Moment. Alles andere war bedeutungslos, auch das Fischerboot, auf dessen Vordeck MacDuff stand und zu uns herüberstarrte.

Die Rede ist vom Corryvreckan, dem Sund zwischen den Inseln Scarba und Jura der Inneren Hebriden.
Larsson, selbst Segler, schildert in seinem Buch einen etwas anderen Törn zweier Freunde von Dänemark nach Schottland.

Corryvreckan kommt aus dem Gälischen und bedeutet so viel wie 'Kessel der gesprenkelten See'.
Der Corryvreckan zählt zu den größten Strudeln der Welt. Starke atlantische Strömungen und eine ungewöhnliche Unterwassertopografie wirken zusammen und erzeugen einen besonders starkes Gezeitenstrom im Sund. Wenn die Flut in den schmalen Sund aufläuft, herrscht Strom bis zu 8.5 kn (16 km/h), und das einlaufende Wasser trifft auf Untergrundformationen, die stärkste Strudel, Wasserwände, sonderbare Wellen und andere seltsame Erscheinungen der Wasseroberfläche erzeugen:
Ein tiefes Loch und und eine steil am Meeresgrund aufragende pyramidale Basalt-Felsnadel, aus einer Tiefe von 200 m steigt sie bis zu einer Tiefe von nur 29 m unter der Wasseroberfläche auf. Flut, in westliche Richtung einströmendes Wasser aus dem Firth of Lorne sowie entgegengesetzter starker Westwird türmen bis zu neun Meter hohe Wellenberge auf: Great Race. Das Tosen des Mahlstrohms ist noch in einer Entfernung von 16km zu hören.

Legenden:
Wenn die schottische Winterhexengöttin Cailleach Bheur im Corryvreckan ihren großen Umhang wäscht, wird es Winter. Wenn Cailleach Bheur aber im Winter Corryvreckan als Waschtrog benutzt, hört man das Donnern der Wasser drei Tage lang 20 Meilen weit. Nach der Wäsche erstrahlt ihr Kleid wieder in reinem Weiß und wird ein Zudeck, das sich über das ganz Land legt: es schneit.

Zwei andere Legende erzählen: Wikingerkönig Breacan soll sein Boot nahebei Corryvreckan festgemacht haben, um auf eine einheimische Prinzessin Eindruck zu machen oder über den Golf vor seinem Vater geflohen sein. Er wird in die Strudel gezogen und Breacans Hund zieht seine Leiche an Land.

'Admiralty's West Coast of Scotland Pilot guide to inshore waters' nennt den Sund "very violent and dangerous" und weiter: "no vessel should then attempt this passage without local knowledge".
Erfahrene Taucher beschreiben das Gebiet als "potentially the most dangerous dive in Britain".

Martin Lawrence führt aus:
"The Gulf of Corryvreckan, between Scarba and the north end of Jura is one of the most notorious stretches of water anywhere around the British Isles, although it is half a mile wide, with no hazards near the surface. With one significant exception it is more than 100 metres deep for the greater part of its width.
The hazardous nature of this passage is due to three factors: the strength of the current, the turbulence at the boundary of eddies on both sides (and overall whenever the tidal stream is opposed to the wind), and the presence of one rock which has a least depth over it of 29 metres. In addition to the eddies on the surface - as divers know very well - there are also vertical currents, welling up from, and dropping down to, the bottom. The turbulence is not confined to the gulf itself; even in calm weather it extends several miles WNW as the flood tide meets the relatively stationary body of water further offshore. This is named on the charts as 'The Great Race'.
Because of its width and depth, Corryvreckan takes the bulk of the tidal stream passing backwards and forwards between the north end of the Sound of Jura and the open sea. In addition to this the spring range at Eoch Beag, three miles east of the east entrance to the gulf, is 2.1 metres, whereas at Glengarrisdale Bay, three miles SSW of the west entrance, it is 3.1 metres, so that at high and low water springs there is a difference between each end of the Gulf of 0.5 metre.
The turbulence is naturally greatest on the flood, particularly when the tidal stream meets a westerly wind blowing from the open sea with any accompanying swell.

The 29-metre rock rises abruptly from depths of over 60 metres two cables from the Scarba shore and it is located south of the west point of a bay a little west of halfway along the south shore of Scarba. A standing wave builds up around this rock and is said to rise to four metres, and may combine with a westerly swell to rise to twice that height. The east face of the rock is steeper than the west, so that the standing wave is steeper and higher on the flood tide.
An eddy, equal in strength to the main stream, runs down the west side of Scarba on the flood and into Corryvreckan, rejoining the main stream abreast of the 29-metre rock creating, at times, a distinct whirlpool.
On the ebb an eddy of similar strength forms, also on the north side of the gulf, and on both ebb and flood smaller eddies are formed along the south shore of the gulf.
Among the islands on the south side of the west entrance there are further strong currents, especially on the ebb, when an anticlockwise eddy is set up to the west of Eilean Mor; this causes severe overfalls, particularly over a submerged reef which extends a cable WNW of Eilean Mor. There are several submerged and drying rocks among these islands, and most careful chartwork is needed to avoid them.
From the above it will be obvious that the fundamental advice, especially to yachtsmen unfamiliar with the west coast, must be to avoid Corryvreckan and to avoid being drawn accidentally into it, although under certain conditions it is passable and is often used by experienced local yachtsmen as well as by fishermen."




1947 ertrinkt der Schriftsteller George Orwell um ein Haar im Corryvreckan. Um den Ablenkungen Londons zu entkommen und sich auf den Abschluss seinen Romans "1984" zu konzentrieren, hat er sich in die Einsamkeit der Insel Jura geflüchtet. Auf der Rückfahrt von einem Bootsausflug nach Glengarrisdale im Nordwesten von Jura - Orwell hat wohl etwas in den Gezeitentabellen mißverstanden - steuert er sein Boot zu nahe an die Strudel. Der Motor löst sich aus den Halterungen und geht über Bord, Orwells Schwager greift zu den Rudern, der Strudel weicht zurück, was sie vor dem Ertrinken rettet, sie erreichen einen Felsvorsprung bei Eilean Mor, etwa eine sm vor der Küste Juras. Dort kentert das Boot beim Aussteigen. Orwell, seine beiden Begleiter, und seine drei-jähriger Sohn werden zufällig von vorbeifahrenden Hummerfischern bemerkt - sie haben Feuer gemacht, um sich zu wärmen...

Am Sonntag, den 2. August 2012 ist segelt "Clova" mit ihrer Besatzung von Ost nach West durch den Corryvreckan ...
2014 befährt eine frustrierte Segelcrew mit einem netten jungen Skipper den Großen und Kleinen Corrvreckan (nach Schraubenverlust in Loch Scavaig bei einer Charterfirma mit bodenlos schlechtem Service)





Corryvreckan Calling

She's alone on the deck in the morning lights
She looks out west to where the islands lie
As the ferry boat pulls away
Down in the bar where the old men smoke
Tell their tales and share their old men's jokes
Sunlight shining through the grey
She lifts her hands as if to shade her eyes
And in the morning lights she scan horizons

She had a dream of an island home,
a soft wind blowing and Corryvreckan calling,
calling, far out at sea
Down in the fields where the children play,
they come home just as the light is falling, falling
The children come home at close of day

Born in the streets on the town's dark side,
she learnt to run, learned to run and hide
Run anywhere but here
Other girls dreamt of being TV stars
or making a break in some fast, shiny car
Far Far away
The old folk told her tales of peat smoke fire nights
And she had dreams behald the glass and starlight

She had a dream of an island home,
a soft wind blowing and Corryvreckan calling,
calling, far out at sea
Down in the fields where the children play,
they come home just as the light is falling, falling
The children come home at close of day

She got a job in a hotel bar
A room of her own… a window to the stars
Under Hebridean Skies
She walks on the beach in the morning rain,
and smiles and thinks of just how far she's come
Sunlight dazzling her eyes
And if the chance it comes I think she'll take it
And after all you know I think she'll make it







© Christian Wirth 2015