Wenn Smirka 
      singt, schweigen die Tiere. Die Möwen, die ersten Krachmacher frühmorgens, 
      fliegen einen Felsen an, ordnen die Flügel und richten den Kopf auf das 
      vorbeiziehende Fischerboot wie in großer Höflichkeit. 
      
Smirkas Lied, tief und klar, rollt über das Wasser. Ihre Silhouette 
      nimmt Farbe an, die Arme in der grünen Strickjacke ziehen die Ruder ein, 
      das Lied bricht ab, das Boot legt bei. Wenn der Gast, den sie heute 
      mitnimmt, an Bord gesprungen ist, lenkt sie es von der kleinen Bucht 
      hinaus in den Inselgarten auf dem offenen Meer. Die alte Frau fährt das 
      Netz einholen. Wie man auf leisen Sohlen in enge Gassen einbiegt, in deren 
      Häusern mit Gewissheit noch jede Seele schläft, so gleitet das Boot nicht 
      schwerer als eine Traumstörung um die Biegung der Inselchen, den Moossaum 
      eines Eilands, kreuzt einen kleinen Kanal und dümpelt im Wasserarm einer 
      neuen Landformation. Es sind 150 Inseln und Kliffs, die im kroatischen 
      Teil der Adria liegen, 89 davon unsichtbar als 
      Nationalpark eingesäumt:
 Es sind die Kornaten.
 
           
Zwischen Dugi Otok und Zirje, um die Mutterinsel Kornat gruppiert, 
      sitzen sie auf dem Wasser wie Blasen, die sich von einem riesigen 
      Unterwassergelände gelöst haben, auf Anhieb unmöglich zu unterscheiden, 
      von spärlicher Vegetation und fast alle unbewohnt. Um ihre Anhöhen sind 
      ein paar Kränze buschigen Bewuchses geworfen, und zwischen Karst und Kalk 
      ziehen Trockenmauern bleiche Grenzlinien, als schaffe die Kargheit allein 
      nicht schon klare Verhältnisse. Das Licht bricht schnell hervor. Am Fuße 
      des Inselchens reflektiert es tief in den Grund, flimmert auf den 
      Kieselsteinen im Uferabfall, blitzt in einem Schwarm Sardinen auf, aber im 
      Netz, das Smirka mit den Händen über das Heck zieht, glänzen nur drei 
      Fische. In der Stille des Morgens glaubt man sie atmen zu hören, bevor sie 
      sich in zuckenden Schlägen gegen die Wand des Eimers werfen, ein Echo 
      hinterlassend wie ein akustisches Warnzeichen für alle Lebewesen, im 
      trügerischen Frieden auf den Menschen zu achten. Als wäre ein Bann 
      gebrochen, wirft Smirka den kleinen Außenbordmotor an und tuckert zurück 
      zur Bucht, die Möwen fliegen auf und umkreisen den mageren Fang, die Sonne 
      hat sich über den Horizont erhoben, Libellen sind erwacht, Wasser und 
      Himmel sind nun blau. Aus dem Weltall haben die Astronauten berichtet, die 
      Adria sei der blaueste Fleck auf der Erde.
      
Smirka zeigt auf Olivenhaine, 50-jährige Bäume neigen ihre verknoteten 
      Äste zur Erde. Viele seien es nicht mehr, sagt sie, aber wer solle noch 
      kommen und mithelfen bei der Ernte. Die Felder auf den Kornaten sind 
      Eigentum der Bewohner der Insel Murter, die über eine Brücke mit dem 
      Festland verbunden ist. Vor gut hundert Jahren kauften die Murteriner den 
      Adligen der Küstenstadt Zadar die Inseln als Weideland ab, und über 
      fünfzig Jahre ist es her, dass Smirka sich, frisch verheiratet, in den 
      Frondienst der Murteriner Fischer und Bauern einreihte, die mit 
      einfachstem Werkzeug den Boden rodeten. Stein für Stein, sagt Smirka, habe 
      sie mit Zlavko, ihrem Mann, aus dem Boden gehoben. Die 20 Seemeilen 
      zwischen Murter und ihren Feldern auf den Kornaten seien sie gerudert, 
      jeder sei damals gerudert, und nicht jedes der kleinen Boote sei 
      angekommen. Schafe, Ziegen und der Erde abgerungene Haine, davon lebten 
      die eigenwilligen Pioniere, die ihre Unterkünfte in die geschützten 
      Buchten der Inseln gebaut hatten, frühmorgens auf Makrelenfang gingen und 
      danach mit der Hacke aufs Feld. Sie setzten den Most an, brannten den 
      Schnaps, pressten die Oliven, stampften aus den Pflanzen die Farbe, aus 
      den Agaven die Fasern. Ein unscharfes Foto in einem Buch mit dem Titel 
      Jugoslawien zeigt Smirka in der Mitte von Männern als einzige Frau: 
      beim Dreschen der Blätter und Pflanzen, ein Bild wie aus Bertoluccis Film 
      1900. Die Botschaft der lachenden Gesichter triumphiert über die 
      bescheidenen Verhältnisse. Acht Monate im Jahr bestellten sie ihre 
      »überseeischen« Felder, dann überließen sie den Winterstürmen das 
      vernagelte Haus und kehrten zurück in den Schutz des Ortes Murter.
      
Heute bringt ein Fischkutter zweimal pro Woche Nahrungsmittel und 
      alles, was Smirka und die anderen Sommerbewohner per Handy ordern, auf die 
      Inseln. Und in den Monaten von Juni bis September bringt er noch etwas: 
      Touristen. Nicht weit von Smirkas und Zlavkos Häuschen ist eines jener 
      Ferienhäuser zu mieten, die im örtlichen Tourismusbüro unter dem Namen 
      »Robinsonade« laufen und über den Archipel verstreut sind. Es sind nicht 
      allzu viele, und sie sind die einzige Möglichkeit, hier buchstäblich Fuß 
      zu fassen, denn Kroatien hat das über 200 Quadratkilometer umfassende 
      Inselreich vor allem den Seglern geöffnet. In der Nebensaison noch als 
      einzelnes Modell zu bewundern, vermehren sich im Hochsommer die Jachten, 
      Katamarane und Segelboote zu einem Wimmelbild. Täglich fahren 130 Schiffe 
      die Marinas an, jene Jachthäfen auf den Inseln Zut und Piskera, die, 
      großzügig angelegt, einer Freiluftanlage eines guten Hotels gleichen. Die 
      Kornaten sind schon lange kein Geheimtipp mehr; dass sie immer noch als 
      solcher gehandelt werden, liegt an ihrem exklusiven Zugang vom Wasser aus. 
      Die Umweltbehörde kontrolliert die Einhaltung der Bebauungsregeln selbst 
      auf den größeren Inseln bislang erstaunlich konsequent. So genießen die 
      Bootseigner das Privileg, mit ihrem schwimmenden Gehäuse leicht vor Anker 
      gehen zu können. Im Austausch hierfür die 16 im Nationalpark geltenden 
      Benimmregeln einzuhalten ist nicht viel verlangt. Doch die Vorstellung, 
      die Macht des Schicksals und des Geldes könne ihr eines Tages über dem 
      Kopf ihres Häuschens eine Apartmentanlage bescheren, lässt Smirka Zuflucht 
      zur Gnade ihres Lebensalters nehmen, das ihr aller Wahrscheinlichkeit nach 
      diesen Anblick ersparen wird.
      
Den zwei Marinas stehen sie in Schönheit nicht nach: die privaten 
      kleinen Anlegehäfen, in Buchten versteckt, nicht mehr als ein Restaurant 
      mit fünf Tischen, papiernen Spitzendeckchen, einer handgemalten 
      Speisekarte und einem Service zwischen hoch sympathischer Improvisation 
      und Geschäftssinn. Ivo war zehn Jahre Fischer, bevor er sein sommerliches 
      Gasthaus baute. Um es fertig zu stellen, ging er noch fünf Jahre als 
      Werftarbeiter nach Hamburg. Seine Deutschkenntnisse wissen die Gäste zu 
      schätzen. Aber nach ein paar Schnäpsen sprechen sie mit ihm, als sei er 
      Analphabet. »Ich kenne die Deutschen ganz gut«, sagt er und stellt 
      frühmorgens ein frisch gezapftes Karlovacko auf den Tisch. Er lässt offen, 
      was er genau damit meint. Er deutet auf das Krokodil an seinem Polohemd: 
      »Meine Frau sagt: 'Besser, du machst da ein Chamäleon hin!'« Ivo will 
      alles tun, damit es mit Kroatien westwärts vorangeht.
      
Gleich an der Mole findet sich ein Fischbassin mit dem Besten, was die 
      allmählich abgefischte Adria hergibt: Da tasten die Langusten sich zu den 
      Krebsen hin, Hummer öffnen vorsichtig die Scheren, und eine orangerote 
      Seltenheit schwimmt verwundert im beengenden Geviert: die Skrpina, der 
      Rote Drachenkopf. Wer so einen Fang macht, verkauft ihn sofort an die 
      Restaurants, ein halbes Kilo von diesem Fisch bringt im Verkauf so viel 
      wie drei Kilo bestes Ziegenfleisch.
 
      
Man muss aber nicht von einer dreistöckigen Jacht springen, mit dem 
      Finger auf eines dieser ausgestellten Meerestiere zeigen und den Wirt in 
      Marsch setzen, dass er es für einen auf den Grill wirft. Man kann auch in 
      großer Ruhe an solchen Orten sitzen, von Freude erfüllt, hier den 
      Drachenkopf zu finden, den man noch nie zuvor gesehen hat. Und was um 
      einen herum so geschieht, wenn die Boote ihre Menschen entlassen, ganz 
      ungeachtet der an den Masten aufgezogenen Nationalfähnchen, ist ein 
      Panoptikum, bei dem man gern noch ein Getränk nachbestellt. Wird man der 
      leibhaftigen Gesichter müde, vertieft man sich in jene Schemen, Fratzen 
      und Titanen, die sich im Bruch des Felsgesteins zu Szenen formen. Als sei 
      man ein entrücktes Kind und erhasche in den Wolkenfetzen herbeistürmende 
      Gestalten. Im Schatten dieser imposanten Tafelberge liegen andere, sanfter 
      geformte Inseln, von denen manche in großer Bescheidenheit eine Flora von 
      160 Pflanzenarten hüten, fast vergessen.
      
Die betörende Natur hat ihr Ende nicht an den Grenzen des 
      Nationalparks. Der nordwestliche Rand der Insel Kornat ist nur durch eine 
      schmale Wasserscheide von der Nachbarinsel Dugi Otok getrennt. Über die 
      administrative Grenzziehung hinweg findet das Paradies dort seine 
      Fortsetzung. Die Telascica-Bucht, die zu Dugi Otok gehört, ist so etwas 
      wie ein informelles Anhängsel an den Kornati-Park und nennt sich 
      Naturpark. Per Schiff muss man nur von einem Gebiet aus- und in das andere 
      einfahren und dabei links und rechts nach Patrouillenbooten spähen. Wer 
      kein Schiff hat, muss den Umweg übers Festland nehmen, um von der Stadt 
      Zadar mit dem Tragflächenboot nach Dugi Otok zu gelangen. Aber diese 
      kleine Unterbrechung ist wie eine notwendige Pause von allzu großer 
      Schönheit. Schönheit braucht Brüche, sonst macht sie schrecklich 
      schläfrig. Der Ort Sali auf Dugi Otok ist eine ideale Mischung: Nahe genug 
      an der landschaftlichen Faszination, hat das 1500-Seelen-Dorf die 
      Infrastruktur des Alltagslebens. Und obwohl hier ganze Schulklassen von 
      Touristen zum Tauchlehrgang kommen, scheint es wie in geheimer Absprache 
      nicht zum Exhibitionismus bereit, als böte es den Fremden höflich den 
      Vorplatz an, nicht aber das Haus.
      
Die Telascica-Bucht steht wie der Kornati-Park seit 1980 unter der 
      Kontrolle der kroatischen Umweltbehörde. Hier arbeitet Nikola, ein 
      »Indigena« wie er sagt, denn seine Familie wohnt seit Generationen in 
      Sali. Sein sorgsamer Umgang mit der Natur trägt eine Spur von Skepsis, als 
      müsse er sich ihrer jeden Tag aufs Neue vergewissern, als sei ihre 
      Harmonie ihm schon einmal abhanden gekommen. Nikola war entschieden länger 
      von seinem Dorf weg gewesen, als er es jemals gewollt hatte, genau 
      genommen saß er 1991 in Split und wartete auf das Boot, das ihn nach 
      Beendigung seines Militärdienstes nach Hause bringen sollte. »Es fehlte 
      nicht einmal eine Stunde zu diesem verdammten Boot, aber in dieser Stunde 
      wurden die Grenzen geschlossen und zack, alle zurück in die Kaserne«, sagt 
      er und schüttelt wegen dieses zeitlichen Zusammenspiels den Kopf. Nein, 
      von den Kämpfen sind die Inseln verschont geblieben, getroffen hat sie nur 
      der Einberufungsbefehl für die meisten Männer. Aber das reichte wohl, um 
      die unberührte Schönheit der Landschaft in einen Bezug zu stellen. Wer der 
      Natur sehr nahe ist, sieht schnell, wenn der Pakt zwischen ihr und den 
      Menschen gebrochen ist. Zurückgekehrt aus dem Krieg, hat Nikola sich ihrem 
      Schutz verschrieben, als wolle er sich fortan nur noch um das kümmern, was 
      vor seiner Haustür liegt.
      
Aber manchmal geht sein Temperament mit ihm durch, und aus dem Schutz 
      wird große Liebe. Dann zieht er mit dem Motorboot rasante Kurven, schert 
      sich nicht um die merkwürdige Wassergrenze zwischen Nationalpark und 
      Naturpark und gestikuliert wild nach backbord, erst in die Höhe zu den 
      dramatischen Felsabstürzen und dann ins Meer: 80 Meter fällt die felsige 
      Wand in die Tiefe, für Taucher sind das maledivische Verhältnisse. Der Arm 
      zeigt über das offene Meer, dort ist Ancona, drei Stunden nur entfernt - 
      sollen wir da Kaffee trinken? Aber ach, die Italiener, sie haben es bei 
      den Kroaten schwer; keine Okkupation in der Geschichte des Landes ist 
      vergessen, und Italien sitzt einfach immer vor der Nase. Dafür 
      funktioniert der Naturschutz wunderbar. »Nur zwei Monate im Jahr ist es 
      Stress«, sagen die Männer von der Umweltbehörde und werfen sich ein 
      bisschen in Positur. »Wenn jemand sich nicht an die Regeln hält, kommen 
      wir eben zu fünft und sagen ihm Bescheid. Wir verlangen 40 Kuna 
      Liegegebühr pro Tag, das sind fünf Euro, und die Inhaber der größten Boote 
      sind die, die noch darüber diskutieren. Sie fragen, wofür sie etwas 
      bezahlen sollen, und dann sagen wir: 'Guck mal, da oben die Sonne und hier 
      das Wasser, das ganz sauber ist, und in der Mitte, schau mal - das ist 
      Natur, wie du sie nirgends mehr hast!'« Der Mensch müsse das doch spüren, 
      meint Nikola, man müsse doch auch einmal still sein.
      
In Sali kehrt am Abend die Idylle ein. Eigentlich wechselt das Licht 
      nur von Gelb nach Rot. Über jeder Stufe liegt ein Wurf Gold. Mehr braucht 
      man nicht, um zu wünschen, man wäre Maler. Ist man kein Maler und muss 
      demzufolge jetzt nicht an die Arbeit gehen, träumt man. Das ist 
Urlaub.
      
 
      
Nur wenige Fischer lenken ihre Boote aus dem kleinen Hafen. Sie schauen 
      in den Himmel und wiegen die Köpfe, als sei die Ausfahrt bedenklich, aber 
      diese Miene ist fast ein Ritual, denn nichts anderes könnten sie machen, 
      als jetzt hinausfahren, wie eine letzte Hingabe an einen verschwindenden 
      Beruf. 
      
Die jungen Leute setzen auf den Tourismus, der schon im vergangenen 
      Jahr die Vorkriegszahlen wieder eingeholt hat. Früher war in Sali der Sitz 
      der Fischereibehörde für das ganze Inselreich. Jetzt bauen die 
      Fischerfamilien ihre Häuser aus, um Zimmer zu vermieten, und bestellen 
      zusätzlich ein Stückchen Land. Es scheint zu reichen, denn Sali ist auf 
      den ersten Blick ein fröhlicher Ort, und die Jungen, die hier geblieben 
      sind, scheint ein energetisches Netz zu verbinden: Sie spielen Theater und 
      scheuen vor Shakespeare nicht zurück, sie kleben am Internet, um sich die 
      Weltgeschichte zusammenzusuchen, und sie halten eine öffentliche 
      Bibliothek in Topform, deren Bestückung mehr als intelligent ist.
      
 Wer seinen Inselhorizont
      Wer seinen Inselhorizont
 trotzdem noch erweitern will, hat es sowieso 
      nicht weit. Von beiden Enden der Kette, die die Kornaten auf dem Meer 
      bilden, führt der direkte Weg zur Küste nach Zadar oder Sibenik. Sibenik 
      rechnet sich zum Nationalpark gleich dazu, erstens weil sein Stadtkern 
      selbst Weltkulturerbe ist, zweitens weil die nächste geschützte Region 
      sich im Rücken der Stadt anschließt: die Krka-Wasserfälle. 
      
Wer die scharf gezeichnete Klarheit der Inseln noch vor Augen hat, 
      findet sich hier in einem gegenteiligen Kosmos. Er betritt dichte 
      Vegetation, läuft die Ufer eines Flusses ab, dessen Sturzwasser die 
      Industrialisierung der Region in Gang gesetzt hat. Während die Inseln der 
      politischen Landesgeschichte entrückt waren, tritt sie hier in 
      verschiedensten Interpretationen auf: in musealer Folklore, in Klöstern, 
      Kirchen und versteckten Indizien. Am linken Ufer der Krka steht hoch oben 
      an der Straße ein Bildnis der Madonna von Visovac. Das Inselchen gleichen 
      Namens mit dem Franziskanerkloster liegt in der Mitte des Flusses. Die 
      Madonna gibt es dreimal: einmal im Original, das die Mönche 1445 auf ihrer 
      Flucht aus Bosnien mitgebracht haben, einmal als Kopie über dem Altar in 
      der Kirche und nun auch hier am Wege als Schutzheilige für die kroatische 
      Front. Auf der gegenüberliegenden Bergkette hatten die Serben Stellung 
      bezogen. Im Kreuzfeuer das schwimmende Kloster. Der Padre, zurückgekehrt 
      nach 16 Jahren Missionsarbeit im Kriegsgebiet Kongo, fand sein Inselchen 
      mit zerschossenem Glockenturm vor und das Refektorium zerstört. Welche 
      Madonna rief er da an, damit sie ihm sage, ob dies ein nachwirkendes 
      Hirngespinst oder Wirklichkeit sei. 
      
Die Menschen, die ihr Land innig lieben und es auch ab und an mit der 
      Nation verwechseln, machen die Mienen von Schildkröten, wenn man sie nach 
      dem Krieg fragt. Smirka zeigt mit dem Daumen auf die eigene Brust und sagt 
      kurz und rau: »Tito!« Das war ihre Zeit gewesen, was danach kam, konnte 
      sie nur noch zum Teil verstehen. Nikola macht eine Handbewegung über das 
      Lenkrad des alten Golfs hinweg und sagte: »Der Krieg - das war! Es muss 
      jetzt nach vorne gehen!« Und eine zurückhaltende Gesprächspartnerin in 
      Zadar sagt: »Es ist noch zu früh. Denken Sie an Deutschland. Das braucht 
      Zeit.« 
      
Wenn die Croatia Airlines von Zadar abhebt, zieht sie eine lange Kurve 
      an der Küste entlang, bevor sie ins Innere abdreht. Dalmatien ist 
      wunderschön. Die Astronauten haben Recht: Je höher man kommt, desto blauer 
      wird das Meer.
aus der 'Zeit' Juli 2002 Anne-Felicitas Görtz