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Irgendwie hat Segeln auch  was mit Trinken zu tun. 
Nach jedem wichtigen Manöver 
wird einer zur Brust genommen.
Es gibt den Anlegeschluck, den Ablegeschluck 
oder den Segel-setzschluck. Gelegenheiten finden 
sich immer. Christian Wirth, 
hauptberuflich Richter am Chemnitzer 
Landgericht und nebenberuflich Segel-lehrer, 
grinst ver-schmitzt. "Das ist Seemannstradition", 
sagt er.
Jedes Jahr tauscht der gebürtige Bayer 
für einige Wochen seine schwarze Robe 
gegen einen wasserdichten Overall  und 
Skippermütze. Als Admiral "Odysseus" 
(Wirths Funkname) sticht er mit seiner Flotte in 
See. Auf den Spuren der 
griechischen Mythologie durchstreift er 
zusammen mit seinen Segelschülern die 
Ägäis - von Insel zu Insel. 
Auszug aus dem Logbuch:
Bei frischem Segelwind lichten wir 
die Anker und die Flotte hält Alimnia an, 
eine einsame, unbewohnte Insel. 
Hier kann man Robinson spielen, im glasklaren 
Wasser baden, schnorcheln oder einfach faulenzen.
Segeln ist für Wirth eines "der letzten 
großen Abenteuer". Weit weg von 
Gesetzbüchern genießt er auf dem Wasser 
die "vollkommene Freiheit". "Man ist 
an nichts gebunden", schwärmt er, 
"und die geistige Bewältigung, also die 
Navigation  beispielsweise, ist eine Herausforderung." 
Aber auch die zwangsläufige Nähe 
zu den Mitseglern reizt ihn. Anders als 
im Gerichtssaal kann man sich auf den 
wenigen Quadratmetern einer Yacht 
nicht "länger als drei Tage
verstellen".
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Am"Ouzo-Törn Ägäis '96" im
Mai nahmen 42 Segler aus Sachsen und 
den alten Bundesländern teil. Mit sechs 
rund 15 Meter langen Schiffen kreuzten 
sie drei Wochen zwischen Rhodos, Symi, 
Chalki, Karpathos. Natürlich wird 
auf solchen Fahrten nicht nur gesegelt.
Hier fehlt doch was!
Landgänge mit Besichtigungen und 
ausgiebigen Kneipenbesuchen stehen auch  auf 
dem Programm.
Vom Hafen Diaphani auf Karpathos 
nehmen wir einen Bus ins Innere derInsel. 
Schwindelerregende Fahrt in das hochgelegene 
Dorf Olymbos. Kenner behaupten, 
es sei das schönste Dorf der Ägäis. 
Gepflegte Häuser schmiegen sich eng an 
steile Felswände. Schmale Gassen, nur 
für Esel passierbar, führen zu Windmühlen. 
Frauen, junge und alte, tragen noch 
altertümliche Trachten. Sie backen Brot 
neben ihren einfachen Wohnungen in Öfen,
die von offenem Feuer beheizt werden.
Nur wenige Touristen verirren sich hierher. 
Phantastischer Blick auf das Meer...
Für Wirth sind die schönsten 
Augenblicke am frühen Morgen.
Bevor der Flottenadmiral mit Mozart aus dem 
CD-Player die Crews aus den Kojen
holt, genießt er den Blick über das Meer. 
Leichter Nebel liegt noch über 
dem Wasser. Morgenröte. Die Schnittstelle 
zwischen Horizont und Meer verschwimmt
im Dunst. Die Weite scheint unendlich zu sein,
Dann kommt Leben in die Yachten. Die Crews 
frühstücken im Cockpit, besprechen 
die Route.
Jeder an Bord hat eine 
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Aufgabe, genau wie in der professionellen
Schiffahrt.
Der Skipper ist der Boss. Einer ist für 
den Motor zuständig,  der Smutje für 
die Küche, der Proviantmeister für
den Einkauf, der Navigator für Seeklarten,
Kompaß und Sextant. Und dann
gibt es noch den "Touristikbeauftragten", 
zuständig für "kulturelle
Angebote und Kneipenbesichtigungen".
Zudem werden die sechs bis acht 
Mannschaftsmitglieder täglich in verschiedene
Dienste eingeteilt. Zwei haben Backschaft, sind also 
für Säuberungsarbeiten 
und das leibliche Wohl der Crew zuständig. 
Die Wachen sind verantwortlich für 
Ruder, Segel und Kurs. Der Rest darf sich sonnen
Einer der Höhepunkte: Wir passieren 
eine navigatorisch nicht ein-
fache Durchfahrt zwischen Saros und Karpathos. 
Starke Strömung, Untiefen, 
Klippen. Glücklich angekommen in Tristoma, 
einer rundum geschlossenen Bucht. 
Hier ist die Einsamkeit zu Hause.
Das kleine Dorf am Ufer haben die Bewohner 
vor 30 Jahren verlassen - sie wanderten geschlossen 
nach Amerika aus. Es gab 
keine Arbeit mehr in dem Ort. 
Der heute 51jauml;rige Wirth ist seit seinem 
16. Lebensjahr ein begeisterter 
Segler. 25.000 Seemeilen (46.300 Kilometer) 
hat er bis heute auf dem Wasser 
zurückgelegt.
Das ist mehr als eine Erdumrundung.
Seine Erfahrungen gibt er nun in 
Segelkursen weiter, die Mitte September in 
Chemnitz beginnen. Sächsische "Landratten" 
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können bei ihm ihren Hochseeschein
erwerben, denn Wirth ist auch zugelassener 
Prüfer. Die Theoriekurse finden 
im Winter in Gaststätten oder Seglerheimen 
statt. Der Motorbootführerschein
wird auf der 
Elbe gemacht. Und die Segelprüfungen 
auf der Nord- oder Ostsee. Oder im 
Mittelmeer.
Der Großteil der Theorie be-
schäftigt sich mit Navigation. Wie
man beispielsweise mit einem Sex-
tanten umgeht, mit dem man die
Position des Schiffes bestimmen
kann. Oder was die Sterne und das
Barometer verraten. Der Fort-
schritt hat aber auch vor der
Schiffahrt nicht haltgemacht. Die
hohe Kunst der Positionsbestim- 
mung ist heute recht einfach. Das
sogenannte GPS - Global Position
System macht es möglich. Das
handygrosse Gerät bestimmt mit
Hilfe von 12 Satelliten den
Standort in wenigen Minuten bis
auf den Meter genau. Wirth, An-
hänger alter Schule: "Ich hasse
dieses Ding. Das ist für jeden alten
Segler frustrierend."
Tags darauf kommen die Segler
auf ihre Kosten. In kleinen 
Schlägen kreuzen wir gegen den Wind durch die 
stürmische Meerenge 
zwischen Kassos und Karpathos.
Unendlich viel Wenden.Wir haben
die Segel gerefft. Dann, spät
nachts, laufen wir endlich in Finiki ein, 
ein kleines 
Fischernest im
Südwesten von Karpathos. Dort
verwöhnt uns der Dorfwirt 
mit Gerichten aus frisch gefangenem
Fisch.
 
 
 
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